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Das Leben von Jean-Baptiste LEMIRE

Das Leben von Jean-Baptiste LEMIRE.

 "Souvenir d'Alsace" (.ram)

Von Henri Ricard, Musikwissenschaftler. 1995 im Journal des Flèchoix erschienen und anlässlich des Konzertes in La Flèche vorgetragen. Ubersetzt bei Jos Steinbruch

     Jean-Baptiste LEMIRE wurde am 8. Juni 1867 in Colmar als Sohn des Maurers Jean-Baptiste (1844-1909) und der Schneiderin Anne-Marie SARTER (1848-1924) geboren. Seine Kindheit wäre derjenigen jedes anderen Kindes vergleichbar gewesen, hätte die politische Katastrophe jener Zeit sie nicht so empfindlich getrübt: Das Kaiserreich war zusammengebrochen, Frankreich war besiegt und hatte jenes Elsass verloren, wo er geboren worden und aus welchem er sich nun mit Vater, Bruder und Schwester zu fliehen gezwungen sah.

Marcel et Mireille quand ils faisaient partie de folklore alsacien     Jedoch konnte die Familie sich nicht entschließen, diese geliebte Gegend zu verlassen, und so suchte sie 1871 in Montbéliard Zuflucht, direkt jenseits der neuen Grenze. Zweifellos sah er es nur als provisorischen Aufenthalt an, während er auf bessere Tage hoffte, aber der Verlauf der Ereignisse ließ dieses leider nicht zu; da ihr die Rückkehr auf heimatlichen Boden verwehrt war, entschloss sich die Familie LEMIRE einige Monate später dazu, endgültig in Frankreich zu bleiben (2. September 1872).

     Elf Jahre lang lebte Jean-Baptiste in Montbéliard; im April 1883 begann er als Schlosser in Belfort zu arbeiten. Dort blieb er bis zum Jahr 1888, in welchem er in die Armee eintrat. Lag es an den glänzenden Uniformen, die er in frühester Kindheit gesehen und deren potenzielle Anziehungskraft einen unbewussten Einfluss auf seinen jungen Geist ausgeübt hatten? War es bereits der Ausdruck seiner starken Persönlichkeit, die ihn in der Folge auszeichnete, oder lediglich die Lust auf Entdeckungen und Reisen, die ihn dazu veranlassten? Es spielt keine Rolle. Seit langem schon hatte Frankreich seine Schulden bezahlt; die Republik war gefestigt, die koloniale Expansion wieder aufgenommen: Ist die Armee in einem solchen Moment nicht das ideale Mittel, um die Erwartungen eines jungen Mannes von 20 Jahren zu erfüllen? Sollte man sich an dieser Stelle nicht des Slogans der Rekrutierungsoffiziere erinnern: "Schreibt euch in die Armee ein und ihr werdet ferne Länder sehen!" Damals eröffnete sich dem jungen Jean-Baptiste die zweifache, militärische und musikalische Karriere, die er über eine halbes Jahrhundert lang erleben wird.

Duquesne Class Heavy Cruiser     Am 7. März 1888 verpflichtet sich Jean-Baptiste LEMIRE in Brest für vier Jahre als Freiwilliger in der französischen Marine, wo er zunächst im Rang eines 2. musikalischen Quartiermeisters dient, anschließend im 52. Marineregiment als Tambourgefreiter und Tambourmajor. Die Jahre 1889 bis 1891 verbringt er - so wie es versprochen worden war - auf See mit der "Dubourdieu", einem Kreuzer, der 1880 in Cherbourg gebaut worden war und von 1884 bis 1899 in Dienst gestanden hatte. Dieses Schiff, welches zwei verschiedene Antriebsmethoden besaß, markiert einen Fortschritt im Material des Schiffsbaus. Tatsächlich war das 19. Jahrhundert geprägt von großen Veränderungen im Schiffsbau. Stück für Stück wurde der Segel- durch den Dampfantrieb und der Rad- durch den Schraubenantrieb ersetzt, während der hölzerene Rumpf durch den eisernen verdrängt wurde.

     Die erste Reise von Jean-Baptise ist eine richtige Weltreise und gleichzeitig eine von der Musik begleitete Studienreise, dazu bestimmt, von genauen Standorten auf dem Globus aus die Deklination der Sterne und ihren Einfluss sowohl auf die Atmosphäre als auch auf die Pflanzenwelt zu bestimmen. Am 29. November 1889 sticht die "Dubourdieu" in See, um der Reihe nach die Kanarischen Inseln (11. Januar 1890), Senegal (25. Januar), Singapur (3. Juni), Honolulu (15. Juli), Tahiti (15. und 25. August), Noumea (17.-21. Oktober), Sydney (30. Oktober bis 3. November), Peru (3. April 1891), Kalifornien (31. Juli), Venezuela (23. September) zu passieren und schließlich über Trinidad (29. September) nach Frankreich zurückzukehren.

     Der Rang eines Tambourmajors, eine in der militärischen Hierarchie obligatorische Stufe, die Jean-Baptiste erreicht hat, scheint ihn kaum zufriedenzustellen. Sein Ehrgeiz treibt ihn dazu, sich im Oktober 1891 für weitere fünf Jahre zu verpflichten. Im 3. Infanterieregiment der Marine ist er nunmehr Claironbläser und schließlich zweiter Kapellmeister. Das ist schon nicht schlecht, aber warum nur zweiter, wenn man doch erster Kapellmeister werden kann? Sein Aufstieg ist sicherlich einer der schnellsten, aber die fünf Jahre vergehen und seine Karriere verzögert sich. So verpflichtet er sich ein drittes Mal, diesmal für zwei Jahre, im selben Regiment (1896-1898). In der Zwischenzeit jedoch hat er nicht wenig gearbeitet: Im Konservatorium von Lyon, in welches er sich 1893 eingeschrieben hat, benötigt er nur ein Jahr, um einstimmig einen ersten Preis im Querflötenspiel zu gewinnen (Oktober 1894).

He has written: I bought these binoculars in Marseille April 25th 1897 before I embarked for Madagascar. They came with me also to the Tonkin in 1901. [Tonkin note added later]     Die nun folgenden Jahre sollen seine Wünsche endlich völlig erfüllen. Von April 1897 bis März 1989 nimmt er mit der kolonialen Infanterie am Madagaskar-Feldzug teil. Bei seiner Rückkehr verlängert er seine Militärzeit ein weiteres Mal um vier Jahre im 4. und 6. Marine-Infanterieregiment und wird Kapellmeister. Sein Ziel ist erreicht, und an der Spitze der Armeekapelle nimmt er von Juni 1900 bis August 1901 am Tonkin-Feldzug teil. Nachdem er 1902 zurückgekehrt ist, quittiert er den aktiven Dienst und gehört nunmehr dem 7. Reserveregiment der kolonialen Infanterie an. Zur selben Zeit wird er erster Flötist des städtischen Orchesters von Biarritz. 1903 gehört er zum 49. Reserveregiment der Infanterie des Heeres an, bei welchem er bis zum Jahr 1913 bleibt, in welchem er diesem endgültig, im Alter von 46 Jahren und nach 25 Jahren Militärdienst, den Rücken kehrt.

     Manch anderer würde nun diesen wahrhaftig verdienten Ruhestand genießen, aber Jean-Baptiste LEMIRE ist nicht der Mann dazu, die Hände in den Schoß zu legen. Für ihn beginnt nun eine wahre Orchester-Tour-de-France. Sein Sohn wird ihn einmal als großen Reisenden bezeichnen. Nachdem er Biarritz verlassen hat, begibt er sich 1904 nach Saint-Claude (Jura) und fungiert von 1906 bis 1907 als Kapellmeister der Musique l'Espérance von Morez. In den Spielzeiten 1909 und 1910 ist er Leiter des Grand Théâtre von Lyon und gleichzeitig, vom 1. März 1910 an, Leiter der Union Musicale von Amplepuis (Rhône). Zu Beginn des ersten Weltkriegs verlässt er die Union, um sechs Monate lang (1916) das Orchester von Lalinde (Dordogne) zu leiten.

Elisabeth ROMEUF (1894-1966)     Im Jahr 1917 kehrt er nach Lyon zurück; dort wird auch sein Sohn Jean (1917-1987) geboren, der der zweiten Ehe mit Elisabeth ROMEUF (1894-1966) aus Saint-Ferréol-d'Aurore (Haute Loire) entstammt. 1918 wird er in Belfort empfangen und 1919 in Colmar, seiner Geburtsstadt, wo er kurzzeitig als Dolmetscher in der Verwaltung tätig wird. Der Kreis seines Lebens scheint sich geschlossen zu haben - doch das ist ein Irrtum, denn am 24. Mai 1921 wird Jean-Baptiste Lemire Leiter des Orchesters der Papeteries du Souche in Anould (Vogesen) sowie des Orchesters der Ehemaligen Militärs der Stadt Lyon.

     In den beiden folgenden Jahren verliert sich seine Spur. Ohne Zweifel bleibt er in Lyon bis zum Jahre 1931, in welchem er die Stadt endgültig verlässt. Erstaunlicherweise findet man ihn in diesem Jahr im Departement Sarthe wieder. Woher kommt dieser ferne Ortswechsel? Sein Sohn Jean, der zunächst Schüler in der Militäranstalt von Autain war, kam anschließend, jedoch erst zwischen 1936 und 1938, in die Militäranstalt Prytanée de la Flèche, was keine Erklärung für den vorherigen Aufenthalt seines Vaters ist.

Jean-Baptiste's Medals     Wahrscheinlich ist der Grund für den Umzug Jean-Baptiste Lemires an die Sarthe ein völliger Rückzug ins Privatleben: Er gibt das Dirigieren auf und widmet sich lediglich noch dem Musikunterricht. 1935, nachdem er mit dem kolonialen Militärorden von Madagaskar ausgezeichnet und in den Rang eines Ordensritters von Anjouan des Comores erhoben wurde, richtet er sich in Saint Germain du Val ein. Dort residiert er bis zum 26. Februar 1945, an welchem er in das Hospital von La Flèche eingeliefert wird, wo er am 2. März verstirbt. Seine Ehefrau verlässt Saint-Germain und die Sarthe erst 1948, um ins Elsass und zu ihrer Familie zurückzukehren.

     Ein guter Lehrer, ein exzellenter Musiker.... ein begabter Musiker, möchten wir anmerken. Jean-Baptiste Lemire hat offenbar erst mit dem Komponieren begonnen, nachdem er Kapellmeister geworden war. In seinem Werkeverzeichnis findet sich keine beträchtliche Anzahl von Stücken; auch haben sie nicht den Umfang einer Symphonie oder Oper, dennoch sollte man seine Produktion nicht vernachlässigen. Jean-Baptiste Lemire hat lediglich "Musik unter freiem Himmel" komponiert, ein Genre, das von vielen als minderwertig betrachtet wird, das er jedoch gut genug kannte, da er es selbst viele Jahre lang ausgeübt hatte.

     Ohne in überflüssige Polemik zu verfallen, möchten wir doch ausdrücken, dass die Musik, wäre sie nur einer Elite vorbehalten, wäre sie nur der reichen und intelligenten Klasse zugänglich, jenen, denen eine lange Ausbildung es ermöglichen würde, all ihre Geheimnisse zu ergründen, ihre vornehmste Bestimmung verfehlen würde, vor allem eine soziale Kunst zu sein. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Volk sind zahlreich und keine dieser Möglichkeit darf aus welchen Gründen auch immer vernachlässigt werden. Jedes musikalische Genre - leicht oder ernst - hat seine Rolle, seinen Platz, sofern es sich um schöne Kunst handelt. Die leichte Musik, mit welcher sich einst ein Johann Strauß unsterblichen Ruhm erwarb, ist sie nicht eines Tages "große" Musik geworden? Ist sie nicht auf ihre Weise ebenso wundervoll wie andere "große" Stücke im Repertoire? Vermittelt sie nicht ebenso viel Freude?

Sa flûte traversière qui est en bois     Die Musik von Jean-Baptiste Lemire ähnelt ihr in vielerlei Hinsicht. Märsche, Walzer, Polkas, Tänze... alle Vorlieben seiner Zeit, nicht zu vergessen die für einen Militärkapellmeister unumgänglichen Formationstänze (pas redoublés) wie z. B. "Rubis sur l'ongle" (Paris 1906), welches je nachdem energisch, glänzend oder sanft erklingt. Für die Querflöte, sein Instrument, komponiert Jean-Baptiste einerseits Stücke mit Klavierbegleitung wie "Solo für Flöte" (Lyon 1905), welches aus einer Suite unterschiedlicher Tonarten besteht, andererseits mit Orchesterbegleitung wie "Erimel" (Lyon 1905) oder "Le Bouvreuil" (Paris 1907), Stücke von großer Virtuosität. Für das große Orchester gibt es eine lange Liste von Werken; wir nennen hier nur das lieblich-lebhafte "Acante-Scottisch" (Lyon 1903), das frühlingshafte "Souvenir d'Alsace" (Walzer, Lyon 1905) oder der "Colmar-Marsch" (Lyon 1905), aufrichtig und entschlossen, oder auch die träumerisch-neckische "Riri-Polka".

     Hinter dem Äußeren des Befehlshabers verbarg Jean-Baptiste Lemire eine große Sensibilität und eine feste Mentalität. Er verstand die einzigartigen Klangfarben des Militärorchesters zu nutzen, deren unterschiedliche Instrumentenfamilien er nach seinem Geschmack miteinander verband oder einander gegenüberstellte. Seine Melodien besitzen Frische und Eleganz, die ihr oft unkonventionelles Format leicht vergessen lassen, seinen kompositorischen Konstruktionen verstand er harmonische Einfachheit zu verleihen, ohne sie jedoch auf ihre tonalen Grundbestandteile zu reduzieren, wie man es oft in diesem musikalischen Genre findet. Und schließlich bevorzugte er bestimmte Rhythmen, indem er hier ihre Strenge und dort ihre Sanftheit betonte.

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See also The Lemire Family Tree

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